Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf in Ostfriesland und dort mit etwa 15 Jahren in die gemeindliche Jugendarbeit geraten. Ich bin heute noch davon überzeugt – zumindest halte ich es für wahrscheinlich -, dass es diese Jugendarbeit nicht gegeben hätte, wenn wir nicht in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine längere Vakanzzeit gehabt hätten. In dieses Vakuum der Vakanz hinein konnte sich ein Stück lebendiger Gemeindearbeit entfalten – vor allem auch deshalb, weil wir als mitarbeitende Jugendliche sehr früh eigene Verantwortung übernehmen mussten. Neben der Gemeindejugendarbeit gab es manche Bezüge in die verbandliche Jugendarbeit hinein.

Nach dem Abitur fing ich dann an, Theologie zu studieren – mit viel Freude aber auch dem klaren Vorsatz, möglichst bald in die Gemeindearbeit einsteigen zu können. Nach dem 1. Examen 1987 folgte 2,5 Jahre Vikariat und 1,5 Jahre P.coll Zeit in der Gemeinde Rinteln. Eine gute Zeit mit meinem Mentor Pfarrer Martin Hausmann, eine Lerngemeinschaft trotz des Status-Gefälles. Ich denke, ich war ihm in der Zeit des Vikariats schon auch eine Entlastung, aber es war eigentlich immer klar: Es ging nicht um die Entlastung, sondern um die gemeinsame Arbeit in der Gemeinde und das gemeinsame Lernen.

Von 1991 bis 2000 war ich dann Pfarrer in der Ev.-reformierten Gemeinde Emden, zuständig für den Bezirk Schweizer Kirche. Dieses waren 9 interessante und gute Jahre, in denen ich versucht habe, mit den Menschen im Pfarrbezirk die Gemeinde sich entwickeln zu lassen.

Im Jahr 2000 wechselte ich dann in die westfälische Kirche. In meiner Funktion als Pfarrer für missionarischen Gemeindeaufbau, die – wie alle Funktionspfarrämter ja letztlich auch immer Funktion von Gemeinde ist – reise ich nun seit 18 Jahren in der westfälischen Landeskirche und darüber hinaus herum und unterstütze Gemeinden in Leitbild- und Konzeptionsentwicklungen, durch Mitarbeitenden-Fortbildungen und Durchführung von Projekten wie z.B. Glaubenskursen. Ich bin in dieser Funktion ganz oft begeistert, wie hervorragende Gemeinden es gibt, und ich bin ganz oft entsetzt, wie schwerfällige Gemeinden es gibt.

Ich habe meine Vita jetzt gerade etwas ausführlicher erzählt, weil ich davon überzeugt bin, dass sie etwas damit zu tun hat, welche theologischen Überzeugungen für den Gemeindeaufbau sich bei mir herausgebildet haben.

Zwei der für den Gemeindeaufbau ganz zentralen Bibelverse möchte ich jetzt an den Anfang stellen und ihn mit Ihnen teilen:

11 Und er selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer,

12 damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden,

Eph 4,11+12

„To equip the saints“ – in der englischen Fassung ist dieser Text eigentlich noch bekannter als in der deutschen.

Drei Punkte sind mir besonders wichtig:

  • Die Gemeinschaft der Heiligen
  • Die Gemeinschaft von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen
  • Die Gemeinschaft von Lernenden und Gestaltenden

Gemeinschaft der Heiligen

Wir bekennen sie im Credo, die Gemeinschaft der Heiligen, aber leben wir sie auch in der Gemeinde? Prägend ist der Begriff des allgemeinen Priestertums. Martin Luther hat ihn wieder hervorgebracht als das allgemeine Priestertum aller Getauften. Wobei es bei „den Getauften“ zu Zeiten Luthers nicht die Frage nach getauften ausgetretenen Gemeindegliedern gab. Eigentlich ging es auch für Luther um das allgemeine Priestertum aller an Christus Glaubenden. Dieser Begriff bzw. dieses Thema ist aber nicht genuin lutherisch oder reformatorisch, sondern biblisch. Sogar schon im Alten Testament taucht dieser Gedanke auf. Nach dem Auszug aus Ägypten und der Ankunft am Sinai sagt Gott zu Mose:

Ex 19, 3  So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen:
4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.
5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.
6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Im 1. Petrusbrief, Kap 2 ist dieser Gedanken dann wieder wörtlich aufgenommen

5 Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft,
zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.

Aber zurück zu Luther: So sehr er in der Reformation diesen Gedanken des allgemeinen Priestertums wieder eingebracht hat, so blass wird er mit der Zeit. Im kleinen Katechismus taucht er nur verdeckt auf

DER DRITTE ARTIKEL.VON DER HEILIGUNG
Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.
Was ist das?
Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt und am Jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird.
Das ist gewisslich wahr.

In der Confessio Augustana fehlt er ganz, vielmehr wird in Artikel 5 das Predigtamt gestärkt und in Artikel 7 von der Versammlung der Gläubigen gesprochen, die nur als Empfänger des Evangeliums und der Sakramente gesehen werden.

ARTIKEL 5: VOM PREDIGTAMT
Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt, das da lehrt, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben.
Und es werden die verdammt, die lehren, dass wir den Heiligen Geist ohne das leibhafte Wort des Evangeliums durch eigene Vorbereitung, Gedanken und Werke erlangen.
ARTIKEL 7: VON DER KIRCHE
Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden, wie Paulus sagt: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph 4,4.5).

Auch wenn dieses sicherlich an der besonderen Entstehung der Confessio Augustana liegt, ist vielleicht damit schon der Grundstein für eine neuerlich entstehende pastorenzentrierte Kirche gelegt worden.

Besser und aktueller finde ich den Heidelberger Katechismus.

Frage 54: Was glaubst du von der heiligen, allgemeinen, christlichen Kirche?
Aß der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben, durch seinen Geist und Wort, in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammle, schütze und erhalte, und dass ich derselben ein lebendiges Glied bin und ewig bleiben werde.
Frage 55: Was verstehst du unter der Gemeinschaft der Heiligen?
Erstlich, dasss alle und jede Gläubigen als Glieder an dem Herrn Christo und allen seinen Schätzen und Gaben Gemeinschaft haben. Zum andern, dass ein jeder seine Gaben zu Nutz und Heil der andern Glieder willig und mit Freuden anzulegen, sich schuldig wissen soll.

In der Frage 54 wird jeder einzelne gleichrangig als „ein lebendiges Glied“ der Kirche bezeichnet, und in Frage 55 wird deutlich gemacht,

„Erstlich, dass alle und jede Gläubigen als Glieder an dem Herrn Christo und allen seinen Schätzen und Gaben Gemeinschaft haben. Zum andern, dass ein jeder seine Gaben zu Nutz und Heil der andern Glieder willig und mit Freuden anzulegen, sich schuldig wissen soll.“

Schön auf den Punkt bringt es dann die Barmer Theologische Erklärung, in ihrer vierten These:

Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. (Mt 20, 25.26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen.

So weit ein kleiner Blick in die Bekenntnisse. Ein besonderes Pfündlein reformierter Theologie ist so wohl immer die Betonung der Gemeinschaft der Heiligen nicht nur als Versammlung, sondern – dem neuen Testament folgend – als Leib Christi aus vielen gleichrangigen Gliedern. Deshalb auch die presbyterial-synodale Kirchenordnung.

Wir glauben die Gemeinschaft der Heiligen. Wir glauben, dass Christus die einzelnen Glieder begabt, dass jeder und jede Anteil hat an den Gaben und Schätzen Christi.
Und wenn wir dann Eph 4 ganz ernst nehmen, dann hat Christus nicht nur einige als Apostel, als Propheten, als Evangelisten, als Hirten und Lehrer eingesetzt – und diese Liste könnte durch andere Gabenlisten des NT noch ergänzt werden, sondern dann ist auch die Aufgabe, die zu diesen Gaben gehört, wichtig: „damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden.“ Vom griechischen Grundtext aus sind die beiden letzten Angaben vielleicht auch einfach beigeordnet: die Heiligen zurüsten zum Werk des Dienstes und zur Auferbauung des Leibes Christi.

Wenn denn einige der genannten Gaben: Apostel, Prophet, Evangelist, Hirte, Lehrer – etwas mit dem Pfarramt zu tun haben, ist es eine der hervorragendsten Aufgaben des Pfarramtes, die Heiligen zuzurüsten. Eben: Mitarbeiter/innen fordern und fördern.

Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Die Gemeinschaft von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen

Gemeinschaft von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen

Hier scheint mir eines der Hauptkonfliktfelder in den Gemeinden heute zu liegen. Wenn wir auf Tagungen das Thema: „Hauptamtliche und Ehrenamtliche“ als Workshop anbieten, ist es immer gut besucht – vor allem von Ehrenamtlichen. Und es wird kräftig geschimpft. Es ist erstaunlich, wieviel ehrenamtliche Energie – anscheinend oder scheinbar – durch Hauptamtliche gebremst wird.

Aber auch Hauptamtliche tun sich damit schwer. Auf einem Pastoralkolleg zum Thema „Ehrenamtliche fordern und fördern“ sind wir einmal in einer ersten Gesprächsrunde damit eingestiegen, dass jede/r – es waren nur Pfarrerinnen und Pfarrer – einmal überlegen sollte: „Kann jemand in meiner Gemeinde etwas besser als ich?“ In der kleinen Gesprächsrunde, in der ich dabeisaß, musste lange überlegt werden. Dann fiel einem etwas ein: „Ja, in meiner Gemeinde haben wir einen A-Kantor – der kann besser Orgel spielen als ich.“ Okay, das ist aktzeptabel. Aber können wir damit leben, wenn es an die Kernkompetenzen geht? Darf es z.B. einen Prädikanten in meiner Gemeinde geben, der besser predigt als ich? Darf es Menschen geben, die bessere Seelsorger sind als wir? Oder dürfen sie nur Plätze besetzen, die wir eh nicht besetzen?

Ich vermute, wir tun uns aus zwei Gründen manchmal schwer mit dem Verhältnis von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen:

1. Wir haben kein klares Bild vom Hauptamt

Hauptamtlich – das ist ja schon ein komisches Wort.

Vor allem im Gemeindekontext. Haupt – Kopf! Da ist ja klar, dass alles andere daneben abgewertet ist. Auf jeden Fall befindet es sich unter dem Haupt, unter dem Kopf und wird von dort gesteuert.

In den biblischen Bildern von der Gemeinde als Leib Christi ist dort, wo das Haupt, der Kopf erwähnt wird, klar, wer dieses Hauptamt hat: Christus. Er allein. Zu ihm, dem Haupt, soll die Gemeinde hinwachsen. Steckt in unserem Haupt-amt vielleicht versteckt etwas von der Vorstellung eines Stellvertreters Christi? Sind deshalb manche Pfarrer und Pfarrerinnen kleine Päpste und Päpstinnen – selbst oder vielleicht sogar besonders in evangelischen Gemeinden (oder manchmal sogar gerade da)?

Eigentlich stammt der Begriff „Hauptamt“ aber aus der Beamtensprache und bezeichnet nur das „Hauptamt“ des Beamten, neben den „Ehren- oder Nebenämtern“, die er auch noch bekleidete. Also vielleicht für uns: Im Hauptamt Predigerin und Seelsorgerin, im Ehrenamt Vorsitzende des Presbyteriums. (Nur mal als Beschreibungsversuch, denn Predigt und Seelsorge sind die Kernaufgabe, Presbyteriumsvorsitz ist das nicht (ich weiß dabei um die Schwierigkeiten, aber wenn jemand anders diese Aufgabe wahrnimmt, mindert es nicht das Gehalt)).

Eines der schwierigsten Themen in vielen evangelischen Kirchen ist zur Zeit die Pfarrbild-Diskussion. Wir haben das bei uns in Westfalen ja auch ganz intensiv gemacht und sind noch dabei. Was macht unser Pfarrbild aus – und wie begrenzen wir es?

Der alte Herr Pfarrer, der Hirte seiner Gemeinde war und in der Mitte stand und wohnte, und dessen Gemeinde sich selbstverständlich auch als Schäfchen des Pfarrers verstanden, hat ausgedient. Auch wenn es diesen Typus hier und da noch gibt – er verschwindet. Die Kirche ist im Umbruch. Wie sieht ein neues Pfarrbild aus? Ich glaube, unser gegenwärtiges Problem ist, dass wir das alte Bild nicht mehr haben, aber noch kein wirklich tragfähiges Neues gefunden haben. Wir befinden uns auch als Pfarrerinnen und Pfarrer – wie so viele andere in unserer Welt auch – in einer Umbruchzeit. Es gibt noch die Parochie – aber immer weniger Menschen halten sich daran. Es gibt noch die Pfarrhäuser, aber immer mehr Pfarrerinnen und Pfarrer streben danach, nicht unbedingt im Pfarrhaus zu wohnen und 24 Stunden erreichbar zu sein usw.. Früher war der Pfarrer oft der Gebildeste in seinem Umfeld – höchstens vergleichbar war noch der Lehrer. Heute haben wir es mit vielen Menschen in unseren Gemeinden zu tun, die bildungsmäßig mindestens ebenbürtig und in vielen Kompetenzen weit überlegen sind.
Immer mehr Managementaufgaben strömen auf uns ein – und viele leiden darunter, können sich dem aber auch nicht entziehen.

Vielleicht hilft es uns, wenn wir diese Zwischenzeit bewusst annehmen: Eine Zeit, in der wir als Pfarrerinnen und Pfarrer mehr Manager*innen als Hirt*innen der Gemeinde sind, vielleicht auch Manager*innen des Umbruchs, also Krisenmanager*innen sind, und eine Zeit, in der wir mehr Trainer*in sind als Seelsorger*in.

Zweitens fällt das Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichen oft schwer, weil:

2. Wir haben kein klares Bild vom Ehrenamt.

In vielen kirchlichen Verlautbarungen wird neuerdings das „Ehrenamt“ wieder ganz hoch gehoben. In dem Zukunftspapier der westfälischen Kirche wurde im Blick auf die Ehrenamtlichen vom „Schatz der Kirche“ gesprochen. Man kommt nicht ganz umhin, diese neuerlichen Bekenntnisse mit den finanziellen Situation in Beziehung zu setzen. Und gleich machen sich auch mancherorts Ängste breit – vor allem bei Diakonen und Jugenreferenten, aber auch bei Pfarrerinnen und Pfarrern: Sollen uns Ehrenamtliche ersetzen?

Dabei ist uns doch eigentlich klar: Am Anfang der Kirche gab es nur Ehrenamtliche. Petrus, Johannes etc.. Paulus hat sich besonders zu seinem Ehrenamt bekannt und jegliche Bezahlung abgelehnt. Als Zeltmacher hat er gearbeitet. Aber gleichzeitig hat er auch die Bezahlung nicht verboten. Es soll dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul zugebunden werden.

Es finden sich dann auch schon früh im Neuen Testament erste Ämterausdifferenzierungen. Zuerst: Apostel und Diakone, dann auch (Eph 4) Evangelisten, Lehrer, Propheten, und Episkopen (Bischöfe), allerdings ohne weiteres im Plural. Aber diese Ämter sind – unabhängig von Bezahlung – alles Ehrenämter. Ämter, die zur Ehre Gottes dienen.

Sie merken schon: Für mich ist der Begriff „Ehrenamt“ nach wie vor ein guter Begriff.

Aber wie gehen wir mit unseren Ehrenamtlichen um? Wie stehen wir zu ihnen? Verstehen wir sie als unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? So werden sie ja auch oft bezeichnet.

Der Begriff: Mitarbeiter ist dabei nicht ungefährlich. Wenn wir von Mitarbeitern sprechen, dann meinen wir eigentlich immer Menschen, die unterstellt sind. Menschen auf gleicher (Arbeits-)Ebene nennen wir nicht Mitarbeiter, sondern Kolleginnen und Kollegen oder – fromm – Schwestern und Brüder. Der Begriff des Mitarbeiters stammt auch aus dem Neuen Testament, 1. Kor 3 nennt Paulus sich und die anderen, die, die in der Gemeinde pflanzen, und die, die begießen, Mitarbeiter Gottes (1.Kor 3,9). So stimmt die Reihenfolge. Haupt- und Ehrenamtliche als Mitarbeiter Gottes, zur „Erfüllung des der ganzen Gemeinde anvertrauten Dienstes“.

Welche Einstellung haben Sie innerlich zu den Mitarbeiter*innen in ihrer Gemeinde: Sind es die Leute, die die Arbeit tun, die Sie nicht mehr schaffen bzw. für die kein Geld für Hauptamtliche da ist? Oder sind es die, die eigentlich die Gemeindearbeit machen – und die Hauptamtlichen tun die Dinge, die ehrenamtlich nicht zu machen sind. Ist das Ehrenamt die Notlösung oder das Hauptamt?

Gerade evangelisches Profil sollte es sein, das Ehrenamt hochzuschätzen und hochzuhalten. Wobei dadurch – ich möchte es noch erwähnen – das Pfarramt nicht geschmälert wird. Burkhard Krause, Landessuperintendent i.R. des Sprengels Osnabrück, spricht vom neuen Glanz des Pfarramtes. Es ist ja nicht so, dass mehr Ehrenamtliche weniger Hauptamtliche bedeuten würde. Sondern zum einen sind die Aufgaben unterschiedlich – und es wird wichtig sein, ein neues, stimmiges Pfarrbild zu entwerfen. Aber zum anderen gilt im Gegenteil: Mehr Ehrenamtlich erfordern nicht weniger, sondern letztlich sogar mehr Hauptamtliche.

Sie merken, dass Ehrenamt liegt mir sehr am Herzen. Und wir brauchen eine gute Gemeinschaft von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Den Hauptamtlichen kommt dabei gerade für unsere Zeit eine Schlüsselposition zu, denn sie gestalten den Übergang, in dem sich die Kirche momentan befindet. Sie können Ehrenamtliche gewinnen und stark machen.

Wir müssen – und damit komme ich zu meinem abschließenden 3. Punkt – eine Gemeinschaft der Lernenden und Gestaltenden werden.

Gemeinschaft der Lernenden und Gestaltenden

Ich komme noch einmal auf Frage 55 des Heidelberger Katechismus zu sprechen: „dass jeder seine Gaben zum Nutz und Heil der andern Glieder willig und mit Freuden anzulegen, sich schuldig wissen soll.“ Gemeinde wird gebaut in der Gemeinschaft von Haupt- und Ehrenamtlichen. Wir müssen uns immer weiter entfernen von einer Betreuungskirche hin zu einer Beteiligungskirche – von einer Anstalt zur Aktiongemeinschaft.

Gemeinde ist keine Einrichtung für betreutes Glauben, sondern für lebendigen Glauben.

Das heißt nicht, dass Gaben und Funktionen nivelliert werden. Der Glanz des Pfarramtes bleibt sogar gerade auch in diesem Prozess. Es ist doch die zentrale Aufgabe des Pfarramtes, Menschen mit hineinzunehmen in die Bewegung des Evangeliums, sie zu beteiligen – nicht als Versammlung, nicht als nur Empfangende, Betreute, sondern als lebendige Glieder. Es ist doch eine zentrale Aufgabe, to equip the saints – die Heiligen zuzurüsten zum Werk des Diensten und zum Aufbau der Gemeinde.

. In der kirchlichen Übergangszeit, in der wir uns befinden, ist vielleicht ein wichtiger Teil im Pfarrbild neben der Hirtin gerade auch die Trainerin

Ich glaube, uns stellen sich – neben dem Tagesgeschäft – folgende Aufgaben:

1          Menschen in den Dienst berufen

Seit jeher ist dies eine Aufgabe der Gemeindeleiter und Verantwortlichen. Jesus hat es vorgemacht. Die Apostel haben es weitergemacht. Paulus empfiehlt es Timotheus.

Wenn wir Menschen suchen und berufen, dann müssen wir den Motiv-Mix von altruistischen Motiven und Selbstverwirklichungsmotiven bewusst akzeptieren. Beides gehört zusammen.

Zum Berufen gehört für mich auch eine gute „ehrenamtliche Personalentwicklung.“ Personalentwicklung ist in der Kirche ja eh ein schwieriges Thema, aber warum nicht in den Gemeinden besser machen, was gesamtkirchlich nur schwer läuft. Immer mehr Gemeinden bieten Gabenkurse an, die zum einen persönlichkeitsbildend sind, zum anderen die Möglichkeit zu anschließenden Gesprächen über Mitarbeit bieten. Auch für bereits gestandene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das spannend. Berufung ist ja kein einmaliger Akt, sondern funktions- und zeitgebunden.

„Ich bin dabei“ (früher MarP – Mitarbeiten am richtigen Platz) ist ein solcher in der badischen Kirche entwickelter Kurs, der einfach durchzuführen ist. https://www.ekiba.de/html/content/gabenorientierte_gemeindearbeit.html

2          Menschen für den Dienst beauftragen

Es lohnt sich, mit Ehrenamtlichen über ihren Auftrag zu sprechen. Rahmenbedingungen zu klären, Rechte und Pflichten zur Sprache zu bringen. Erst das nimmt das Ehrenamt ernst. Es ist ohne weiteres möglich, auch für Ehrenamtliche Stellenbeschreibungen zu verfassen. Verantwortlichkeiten müssen geklärt werden, Dienstgespräche geführt werden. Auch wenn es am Anfang komisch wirkt, ist dieses eine starke Form der Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit.

3          Menschen zum Dienst befähigen

Ehrenamtliche müssen auch betreut und gefördert werden. Lebenslanges Lernen ist ein Stichwort unserer Zeit. Ich habe selten so viel gelernt, wie in der Lerngemeinschaft mit den Ehrenamtlichen aus Gemeinden. Da sitze ich mit Leuten zusammen, die haben eine pädagogische Fachausbildung, andere haben ein Psychologie-Studium im Rücken, Handwerker sind dabei und lebenspraktische Menschen. Wir bilden Lerngemeinschaften. Dazu müssen wir aber auch solche Möglichkeiten anbieten. Eine meine Lieblingsfragen, wenn ich in Gemeinden über Gemeindeentwicklung spreche, ist: Wie hoch ist Ihr Etat im Haushalt für die Fortbildung Ehrenamtlicher?

Für uns war das jedenfalls auch Auftrag, eine Arbeitshilfe herauszugeben: kompakt – Bausteine für ehrenamtliche Mitarbeit in der Gemeinde. https://www.amd-westfalen.de/beraten-gestalten/ehrenamt-und-leitung/kompakt/

Viele Hilfen und Formulare finden Sie auch auf der Ehrenamts-Homepage der EKvW unter:

https://www.e-wie-ehrenamt.de/